Ernste Unterhaltung…
Nächtliche Gedanken für drei Streichinstrumente - oder:
Zwischen Träumen und Tanzen
Anmerkungen zum
Divertimento bavarese „Auf d´Nacht“ (w 270)
Seit der glücklichen Heimkehr in die Gefilde des bayerisch-österreichischen Kulturkreises im Sommer 2016 hatte ich das Bedürfnis eine ernsthafte Unterhaltungsmusik für Streicher zu schreiben, die einerseits genuine Kammermusik sein sollte, andererseits aber auch durch die abwechslungsreiche Kombination von Tanzsätzen und nachempfundener alpenländischer (aber auch slawischer!) Folklore, samtenen Nachtmusiken, Variationen über ein bayerisches Gstanz´l „Fein sein, bei´nander bleiben“und Zitaten aus der Klassik – in diesem Fall aus Mozarts unvollendeten Trio G-Dur KV 562e für die gleiche Besetzung und dem ebenfalls unvollendeten Lacrymosa aus seinem Requiem – tatsächlich unterhaltsam ist. Dabei wollte ich natürlich den (einem Kammermusikwerk innewohnenden) Anspruch meines ernsthaften kompositorischen Selbstverständnisses nicht aufgeben, aber dennoch quasi ein Amusement für den Verstand und das Gefühl gleichermaßen schaffen. Ob das geglückt ist, müssen die Hörer entscheiden. Mir war die Aufhebung der ideologischen Trennung zwischen E- und U-Musik immer ein ureigenes Anliegen. Was ist denn überhaupt E und U? Wenn überhaupt, dann E wie Entertainment und U wie Unterhaltung! Und ich bin dankbar, daß mir schon früh die Einsicht zuteilwurde, daß Unterhaltung eben auch viel mit Haltung zu tun hat. Das verspielte Streichtrio bietet sich da als Form an, ist es doch qua Definition näher an der Unterhaltung oder der Zerstreuung (dem eigentlichen Bedeutungsinhalt des schönen Wortes Divertimento) als das traditionell „gelehrte“ Streichquartett.
Mein Streichtrio beginnt mit einem ruhigen Preludio all´unisono: Tranquillo. In trauter Harmonie und blauem E-Dur eröffnen da drei Instrumente im völligen Unisono den Reigen einer Stunde Musik.
Satz I. Allegro in e-moll breitet sich in Wellen aus. Mal auf, mal ab. Melodien erscheinen und verschwinden wieder. Hier wird ein Klangraum abgesteckt und die Musik ist hörbar unterwegs. Noch ist aber nicht klar, wohin die Reise geht…
Satz II. Notturno I. Andante con variazioni in G-Dur basiert auf dem urbairischen Gstanz´l „Fein sein, bei´nander bleiben“. Hier wird in insgesamt sieben Variationen die brüderliche Harmonie der Freimaurer besungen, denen diese Komposition ja auch in tiefer Verbundenheit gewidmet ist! Spielfreude und gelöste Heiterkeit stehen im Vordergrund, nur die fünfte Variation in g-moll erinnert daran, daß auf der Rückseite der Freude der Kummer zuhause ist.
Satz III. Menuetto. Allegretto grazioso in C-Dur, das aber mit seinen vielen rhythmischen Verschiebungen nicht mehr als höfische Tanzeinlage taugt, sondern sich einer solchen vielmehr schmunzelnd und ein wenig augenzwinkernd erinnert. Mich hat schon immer erstaunt und gefreut wie unterschiedlich Menuette sein können. Das Trio I in F-Dur berührt die Bereiche des Träumerischen. Unterhaltung kann nicht nur heiter und süß, sie kann auch dramatisch und bitter sein, sogar voller Trauer und Zorn. Andererseits ist der Tod vielleicht nur eine Kleinigkeit und darf im Sinne des klassischen Chiaroscuro durchaus seinen Platz in der Unterhaltung beanspruchen. So taucht das folgende Trio II in c-moll con le lacrime di Mozart ungeniert ein in die Welt von Mozarts unvollendeter Seelenmesse. So wie ich das Lacrymosa aus seinem Requiem höre (nämlich eine Nuance dunkler und in c-moll statt in d-moll!) und wie ich dessen abreißenden Melodiebogen weitermusiziere, in tiefer Liebe und Verehrung, ohne allerdings dabei auch nur einen Hauch Deutungshohheit oder dergleichen zu beanspruchen. Eine kleine Stelle ist mir dabei aber besonders wichtig: Da hätte unbedingt ein Neapolitaner (es statt e!) im Requiem in der Sopranstimme (und den entsprechenden Orchesterstellen) beim dona eis requiem auf der „1“ des Taktes 26 sein müssen! Franz Xaver Süßmayr – dessen Verdienst nicht geschmälert werden soll und den man gar nicht genug loben kann – hatte offenbar vergessen, diesen hineinzuschreiben. Denn der schwindende Meister Mozart wird das seinem Schüler sicherlich noch aufgetragen haben. Nun gut… so etwas kann im Eifer des Ablebens schon einmal verloren gehen, aber in einem geordneten Torso findet sich schließlich alles wieder, auch wenn es 227 Jahre dauert, bis der verlorene Ton wieder aufgefunden wird und den ich mir erlaubt habe, hier in tiefer Verehrung meinem Zitat der entsprechenden Stelle in diesem Kammermusikwerk wieder hinzuzufügen (des! in der Violine im Takt 195).
Eine abschließende Coda. Poco meno in C-Dur versöhnt die so unterschiedlichen Sphären des Tänzerischen, Träumerischen und Trauernden. Ich hoffe, daß das Mozarts Zustimmung gefunden hätte.
Satz IV. Notturno II. Adagio in Es-Dur (der Tonart der Freimaurer!), die zweite Nachtmusik, ist der zentrale Satz des Werkes. Es ist Mitternacht. Wir sind einen halben Ton tiefer als die Haupttonart und ganz und gar entschleunigt. Schwebende Rhythmen verschleiern Schwerpunkte, Melodien wandern durch alle Stimmen und verändern sich ständig wie unter einem Kaleidoskop, alle Erdenschwere ist entschwunden, und wir blicken in eine Nacht voller Sterne…
Ich solchen Momenten weiß ich zwar nicht mehr genau wie die Frage lautete, aber ich bin mir sicher: die Antwort lautet „Ja“!
Satz V. Scherzo. Vivace in H-Dur, ein alpenländischer Zwiefacher (ständiger 3/4-Wechsel-auf-2/4!) als musikalisch-ethnische Urgestalt Mitteleuropas. Nicht nur auf dem Balkan gibt es Musik mit unregelmäßigen Rhythmen… wobei: so unregelmäßig sind sie eigentlich nicht… denn mit etwas Abstand betrachtet fügen sie sich auf einer höheren Ebene wieder zu vollkommener Struktur und makelloser Ordnung zusammen. Beruhigung (und vielleicht auch Berührung!) bringt das Trio I. Piacevole in Fis-Dur. Nachdem sich der Zwiefache ein weiteres Mal mit unverminderter Heftigkeit zu Wort gemeldet hat, entführt das Trio II. Mazurka misterioso in h-moll den willigen und fantasiebegabten Hörer in die landschaftlichen Weiten Polens. Doch der ausgelassene Tanz setzt sich mit seiner letzten Wiederholung endgültig durch.
Satz VI. Rondò. Allegro in E-Dur, ein klassischer „Rausschmeißer“, spielt mit Mozarts unvollendetem Trio KV 562e, dessen in dieses Finale hineingeworfene Versatzstücke einen regen Austausch mit meinen eigenen musikalischen Gedanken entfalten, die die Ehre haben, über zweihundert Jahre später auf diese Fraktale reagieren zu dürfen und sie damit gleichsam dem Vergessen entziehen und wieder zum Klingen bringen, für und durch die Ohren unserer Zeit.
Wie das Stück begann, so endet es auch… beinahe. Das Postludio all´unisono reverso: Molto tranquillo ist noch ein bißchen ruhiger als der Beginn, blickt zurück und wird tatsächlich rückwärts gespielt; also doch a bisserl gelehrt. Man hört es vielleicht nicht, aber es ist trotzdem da. Ist diese Musik nun konstruiert oder in einer klaren Sternennacht dem Himmel abgelauscht? Und welcher Satz war zuerst da? Wer weiß…
Zu einigen Sätzen kann man träumen, zu anderen tanzen.
Jedenfalls wünsche ich viel Vergnügen!
Franck Adrian Holzkamp,
München im Januar 2020
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